Caesar mein Beuteltier frisst alle Kokosnüsse extra hastig!

Bahnpunkte am Reitplatz sind Orientierungshilfen rätselhaften Ursprungs – und eine willkommene Unterstützung bei der Pferdetherapie.

© Sterntalerhof, Stephan Zwiauer

„Estrella bitte Schritt“ – die Quarter Horse Stute kennt das Kommando nur zu gut und setzt sich sanft in Bewegung. Der achtjährige Adam schaukelt sanft auf ihrem Rücken, von hoch oben überblickt er den Reitplatz. „Beim Esel atmest du tief durch.“, sagt Therapeutin Elisabeth mit geheimnisvollem Unterton und deutet auf ein kleines Taferl am Rande des Reitplatzes, auf dem ein E und ein illustrierter Esel aufgemalt sind. „Mach dich gaaanz, gaaanz schwer und lass dich überraschen, was passiert“. Wenige Schritte noch, dann hat Estrella das Taferl mit dem E erreicht. Adam gibt sein Bestes, atmet tief ein und sinkt dann wie ein schwerer Sack Kartoffeln auf Estrellas Rücken zusammen. Und Estrella – bleibt stehen. Nonverbale Kommunikation mit dem Tier. Adam richtet sich auf – und strahlt.

Das kleine bunte Schild mit dem E markiert einen von acht sogenannten Bahnpunkten. Sie sind international standardisiert, entstammen dem Dressurreiten und finden sich auf so ziemlich jedem Reitplatz dieser Erde – in derselben Reihenfolge und relativ an derselben Position sind es Navigationspunkte, die Orientierung und Vergleichbarkeit für Reiter, Richter und Publikum schaffen sollen. Die Punkte A und C kennzeichnen immer die Mitte der kurzen Seite, während E und B die Mitte der langen Seite markieren. Die Punkte M, F, K und H werden auch als Wechselpunkte bezeichnet und befinden sich immer sechs Meter von der kurzen Seite entfernt. Auf der Mittellinie des Vierecks liegen schlussendlich die Punkte D (zw. F und K), X in der Mitte (zw. B und E) und G (zw. M und H). Ein komplexes System, das einen logischen Aufbau vermuten lässt.

Sie wirken wie zufällig entlang des Reitplatzes verteilt: Seit über einem Jahrhundert orientieren sich Reiterinnen und Reiter an sogenannten „Bahnpunkten“. | ©

Sie wirken wie zufällig entlang des Reitplatzes verteilt: Seit über einem Jahrhundert orientieren sich Reiterinnen und Reiter an sogenannten „Bahnpunkten“. | ©

Mätressen am kaiserlichen Hof?

Doch obwohl Bahnpunkte bereits vor über 100 Jahren (bei den Olympischen Sommerspielen 1920 in Antwerpen) das erste Mal auf internationaler Bühne zum Einsatz kamen, gibt es über die Wahl der Buchstaben keine gesicherten Erkenntnisse. So reichen die Thesen von maximaler phonetischer Unterscheidung über die Initialen der zahlreichen Mätressen des Sonnenkönigs Ludwig XIV bis hin zu Positionen am kaiserlichen Hof (K für Kaiser, H wie Hofmarschall, F wie Fürst usw.). Kein Wunder also, dass sich Pferdefreundinnen und -freunde die seltsamen Orientierungspunkte mit allerlei Merksätzen einzuprägen versuchen: „Caesar Mein Beuteltier Frisst Alle Kokosnüsse Extra Hastig“ oder „Charly, Mein Bock, Frisst Alles: Karotten, Einstreu, Hafer“ oder auch „Mein Bester Freund Anton Kann Einen Heben, Cheers!“ sind nur drei davon.

Für die Arbeit mit den Kindern am Sterntalerhof ist all die graue Dressurtheorie aber eher zweitrangig. Hier herrschen magische Heldinnen, Spidermänner, Cowboys, Cowgirls und Zauberfeen mit ungeahntem Mut und verblüffender Geschicklichkeit über scheinbar unendliche Fantasiewelten. Die Punkte mit den seltsamen Buchstaben werden dabei zu willkommenen Requisiten kindlicher Imagination. Adam staunt nicht schlecht, als Estrella wieder los spaziert, nur weil er sich auf ihrem Rücken wieder leicht gemacht hat. Therapeutin Elisabeth lächelt, ein kleiner Erfolg. Gleich wird er den Bahnpunkt A erreichen, das Taferl mit den Ameisen. Dann wird sie Adam ein weiteres Geheimnis verraten. Estrella kennt es schon.

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